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Tag der Politikwissenschaft

Organisation eines Panels am Tag der Politikwissenschaft an der Universität Wien. 

Antisemitismus als politische Strategie und die demokratische Entwicklung. Das österreichische Parlament zwischen 1945 und 2008.

Das Panel möchte das Forschungsprojekt vorstellen, in dem die Vortragenden derzeit tätig sind. Das Projekt wird vom FWF gefördert und läuft von Februar 2014 bis Juli 2017.

Das Projekt untersucht das Verhältnis von parlamentarischer Debatte und der demokratischen Entwicklung in postfaschistischen Gesellschaften. Das Forschungsinteresse liegt in der Untersuchung der Rolle  von Parlamentsdebatten in die (Neu)schaffung einer nationalen Identität und die Entwicklung einer demokratischen politischen Kultur. Anhand von Case-Studies über antisemitische Rhetorik in Nationalratsdebatten nach 1945 soll gezeigt werden, wie Antisemitismus im Parlament die österreichische Identität geprägt hat und wie sie die demokratische Kultur in Österreich geprägt haben. Die Ausgangsmaterialien für die Analyse sind die stenographischen Protokolle des Nationalrates, die dann durch verschiedene kontextabhängige Materialien ergänzt werden (z.B.: Geschäftsordnung, der jeweilige Gesetzestext, Medienberichte, Sekundärliteratur, etc.)

Das Panel soll einerseits die methodische Herangehensweise im Spannungsfeld von kritischer Diskursanalyse, Rhetorik und Demokratietheorie darlegen, andererseits sollen anhand konkreter Debatten Diskurselemente des österreichischen Nationswerdung und des Antisemitismus analysiert werden.

Karin Bischof

Das Paper untersucht exemplarisch die rhetorische Darstellung von NS-verfolgten EmigrantInnen in Plenumsdebatten des österreichischen Parlaments zwischen 1945 und 2008. Die zentrale Frage des Beitrags zielt auf den Zusammenhang zwischen der diskursiven Konstruktion der Gruppe der „Emigranten“ und der Konstruktion des österreichischen Demos in Parlamentsdebatten ab.

Etwa 130.000 Menschen mussten zwischen 1933 und 1945 aus Österreich flüchten, der Großteil davon waren Juden/Jüdinnen nach den Nürnberger Rassengesetzen. Bis heute halten sich hartnäckig Mythen darüber, dass es eigentlich die Privilegierten („die es sich leisten konnten“) gewesen seien, denen die Flucht vor dem Nationalsozialismus gelang. Besonders interessant erscheint vor diesem Hintergrund die Frage der Darstellung von EmigrantInnen als Gruppe, die, analog zu antisemitischen Stereotypen, tendenziell in einer Zwischenposition verortet ist: nicht ganz innerhalb, nicht ganz außerhalb des nationalen Wir; nicht „richtige Opfer“ aber unleugbar Verfolgte; nicht Freund nicht Feind (Zygmunt Bauman); kurz: ein dem Wunschbild eines homogenen, authentischen, nationalen Eigenen Widerstrebendes. Daran knüpfen sich folgende Fragen: Werden in Debatten um EmigrantInnen antisemitische Codes (Volkov) für die Konstruktion des Demos virulent und welche? Lassen sich im exemplarischen Vergleich von Legislaturperioden Brüche, Kontinuitäten, Wandel erkennen? Wo gibt es (im Zeitverlauf) Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den rhetorischen Strategien der Parlamentsparteien und der ihnen zugehörigen RednerInnen?

Punktuell wird schließlich für die Zeit ab den 70er Jahren die diskursive Konstruktion von NS-verfolgten EmigrantInnen derjenigen von ImmigrantInnen („Gastarbeiter“, Flüchtlinge, AsylwerberInnen) auch in ihrer Funktion in Bezug auf die Konstruktion des Eigenen gegenübergestellt

Marion Löffler

„Verhetzung“ ist ein beständig wiederkehrendes Thema in Plenumsdebatten des österreichischen Nationalrats. Bis in die 1960er Jahren wurden als AdressatInnen von Verhetzung die „Masse der Bevölkerung“ und vor allem „die Jugend“ thematisiert, die entweder vor nationalsozialistischer oder kommunistischer Propaganda geschützt werden sollte. Masse und Jugend wurden dabei als labile, verführbare und affektgesteuerte Größe imaginiert, die durch Verhetzung zu einer potentiellen Gefahr für die demokratische Ordnung werden könnte. Gestützt wurde diese Sicht durch den § 304 StGB 1945 („Aufreizung zu Feindseligkeiten“), der vor allem gegen die Zementierung der politischen Lager und die Gefahr eines Bürgerkrieges gerichtet scheint.

Mit dem sogenannten „Verhetzungsparagrafen“ (§ 283 StGB 1975) wurde der Tatbestand geschaffen und das Kriterium der Verletzung der Menschenwürde ergänzt. Die Notwendigkeit einer Revision argumentiert der damalige Justizminister, Christian Broda: „Wir glauben, daß in Zukunft niemand mehr straflos sagen soll: Es sind im Dritten Reich zuwenig Juden vergast worden!“ Somit interpretiert er das Gesetz als Instrument zur Bekämpfung von Antisemitismus. Der Schutz der Masse oder der Jugend vor hetzerischer Propaganda wird nun zum Schutz der potenziellen Opfer, gegen die sich die aufgehetzte Masse wenden könnte. Mit der Reform 2011 wurden die geschützten Gruppen ausgeweitet.

Vor der Folie der Gesetzesentwicklung, soll im Vortrag der Einsatz des Verhetzungsvorwurfs in Plenumsdebatten beleuchtet werden. Wie im Tatbestand der Verhetzung sind auch in Plenumsdebatten negative Emotionen zentral, doch richten sie sich hier gegen politische KontrahentInnen. Zum einen kann der Vorwurf der Verhetzung als Kriminalisierungsstrategie betrachtet werden, zum anderen werden die juristischen Konstruktionen von TäterInnen- und Opfergruppen auf die Kräftekonstellation im Parlament übertragen, sodass sich z.B. Fraktionen oder einzelne Abgeordnete selbst zu Opfern stilisieren, die für sich beanspruchen, ansonsten verpönte Verbalattacken tätigen zu dürfen. Auf Basis exemplarischer Debattenanalysen soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern durch die Pervertierung des Verhetzungsparagrafen die parlamentarische Streitkultur und damit auch die öffentliche Legitimation des Nationalrats Schaden nehmen.

Nicolas Bechter

Das Paper soll der Frage nachgehen, wie außerparlamentarische Protestformen parlamentarisch verhandelt werden. Obwohl es immer wieder einzelne Großdemonstrationen in Österreich gab (Borodajkewycz, Schranz, Waldheim, ...), fokussiert das Paper auf die Zeit ab 1987. In diesem Jahr fand in Wien die erste Opernball-Demo statt, die seitdem jährlich stattfindet. In den 2000er Jahren gab es zusätzlich die Donnerstags-Demos, die anlässlich der Regierungsbeteiligung der FPÖ stattgefunden haben. Heute findet die Opernball-Demo nicht mehr statt, wurde aber durch die Proteste gegen Akademikerball (früher WKR-Ball) abgelöst, der früher vom Wiener Korporationsring und heute von der FPÖ-Wien veranstaltet wird.

Somit gibt es seit 1987 in Österreich eine jährlich institutionalisierte Demonstration, was möglich macht, Transformationen im parlamentarischen Diskurs augenscheinlich nachzuzeichnen. Nicht zuletzt wegen gewalttätiger Ausschreitungen wurden die Demonstrationen im Nationalrat behandelt. Die diskursive Behandlung einer Demonstration, bei der es zu Gewalt kommt, verläuft entlang verschiedener Verfassungsprinzipien: Recht auf Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, Schutz der allgemeinen Sicherheit und der Ball-BesucherInnen, Recht auf Selbstverteidigung der Demonstrant*innen/der Polizei, (präventive) Überwachung etc, die für die Entwicklung der Demokratie entscheidend sind.

Auffallende, sich wiederholende, diskursive Figuren sind u.a. der „Berufsdemonstrant“, die „deutsche Erfahrung“ und die Verwendung antifaschistischer Slogans durch konservative, bzw. rechte RednerInnen. Mit deutscher Erfahrung ist nicht (mehr) der Nationalsozialismus gemeint, sondern eine große, linke Protestkultur nach dem Mai 1968. Gerade als die Opferthese langsam zu erodieren beginnt, entsteht ein neues Narrativ, das die seligen Zustände in Österreich erneut zum Opfer deutscher Aggression macht: „Berufsdemonstranten“, die nach Österreich kommen und die vermeintliche Ruhe stören. Das ist ein Aspekt eines konstitutiven Anderen, das die Selbstbeschreibung als einer extremismusfreien Konsensnation möglich macht.

Martin Bartenberger

In den letzten Jahren hat sich insbesondere in der US-amerikanischen Politikwissenschaft eine eigenständige Literatur über experimentelle Politik-Ansätze entwickelt. Darunter werden Formen von Politik verstanden, die bei der Entwicklung von policies einem trial-and-error-Ansatz folgen und sich in der konkreten Implementierung flexibel und anpassungsfähig zeigen. Die Debatte läuft dabei insbesondere unter den Schlagworten „design experiments“(Stoker/John 2009), „democratic experimentalism“ (Dorf/Sabel 1998; Ansell 2012) und „experimentalist governance“ (Sabel/Zeitlin 2012). Als Anwendungsbeispiele für ein derartiges experimentelles Politikverständnis wurden insbesondere die Entwicklungspolitik (Banerjee/Duflo 2009), das Mehrebenensystem der EU (Sabel/Zeitlin 2010) sowie der Bereich der Umweltpolitik (Ansell/Bartenberger forthcoming) ausgemacht.

In den bisherigen Debatten ist die demokratiepolitische Dimension dieser neuartigen Ansätze allerding unterbelichtet geblieben. Das Paper versucht diese Leerstelle zu schließen und wird die Experimentalismus-Debatte unter dem Blickwinkel politischer Streitkultur und Demokratieentwicklung analysieren. Als konkretes Beispiel zur Veranschaulichung der demokratiepolitischen Relevanz experimenteller Ansätze wird dabei ein aktueller Fall der Wiener Verkehrspolitik gewählt werden: die Umgestaltung der Mariahilfer Straße.

Im ersten Teil wird das Paper zeigen, dass die Umgestaltung der Mariahilfer Straße insofern als experimentelle Politik verstanden werden kann, als hier keine vorgefertigte Lösung präsentiert und umgesetzt wurde. Vielmehr wurde die konkrete Umgestaltung experimentell im Prozess selbst entwickelt, laufend angepasst und schlussendlich einer Befragung durch die AnrainerInnen unterzogen. Insbesondere die Möglichkeit die angedachte Einführung einer Fußgängerzone für begrenzte Zeit bereits versuchsweise erleben und erfahren zu können sowie die abschließende und ergebnisoffene Befragung der AnrainerInnen, kann dabei als neue Form der direkten BürgerInnenbeteiligung verstanden werden.

Im zweiten Teil wird das Paper hervorheben, dass ein derartiges Vorgehen sowohl Chancen als auch Risken birgt. Neben dem demokratischen Innovationspotential beinhaltet es auch ein Einfallstor für politischen Populismus. Hier zeigt das Beispiel Mariahilfer Straße wie experimentelle Ansätze die Angriffsfäche von EntscheidungsträgerInnen erhöhen und populistisch leicht als „Entscheidungsswäche“ und „Planlosigkeit“ umgedeutet werden können.

Abschließend wird das Paper über die weitere Anwendbarkeit experimenteller Ansätze in Österreich und ihre demokratiepolitische Relevanz reflektieren. Dabei wird es die These vertreten, dass sich experimentelle Ansätze erfolgreich in allen Bereichen des politischen Mehrebenensystems einsetzen lassen, sich aber insbesondere für städtische Politikentwicklung eignen. Das Feld der Verkehrspolitik scheint dabei in Österreich bislang am offensten für experimentelle Ansätze zu sein, wie nicht nur das Beispiel der Mariahilfer Straße zeigt, sondern auch die versuchsweise Einführung der Tempo-80-Zone auf der Stadtautobahn Salzburg.

 

Discussant: em. Univ. Prof. Anton Pelinka

Chair: em. Univ. Prof. Eva Kreisky

Co-Chair: Dr.in Karin Stögner

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